Es waren einmal: Brauchen Kinder heute noch Märchenbücher?

Sind Märchenbücher nur noch als lang tradierte Kulturgeschichte zu betrachten oder gehören sie auch im 21. Jahrhundert noch in jedes Kinderzimmer? Welchen Wert haben Märchen für die Kinder von heute? Bevor wir uns diesen Fragen widmen, schauen wir uns diese Gattung erstmal etwas näher an.

Märchen erzählen von wundersamen Begebenheiten. Genauer gesagt sind es die Erzähler*innen, die diese „merkwürdig geheimnisvollen und zugleich geheimnislosen Gebilde“ (wie Erzähler Michael Köhlmeier sie nennt) seit tausenden von Jahren weitergeben. Märchen sind gelebte und geteilte Erfahrung, die sich mit den Jahren und den Menschen verändern. Seit es sie gibt (über ihren Ursprung gibt es nur Vermutungen) bewegen sie sich stets frei über alle Kultur- und Landesgrenzen hinweg. Jede Generation von Erzähler*innen bietet neue Perspektiven, Erfahrungen, Werte und Ideen, in die wir eintauchen können. Das spiegelt sich in allen Märchen der Welt wider, denn diese Geschichten haben die unglaubliche Kraft, Zeit und Raum zu überwinden.

Alte und neue Rollenbilder

Trotz ihres scheinbar grenzenlosen Zaubers zögern heutzutage viele Eltern beim Griff zu Märchenbüchern. Ein Grund dafür, ist die Fülle an verstaubten Rollenbildern, die viele klassische Märchen beinhalten. Eine Möglichkeit, um von veralteten Rollenbildern Abstand zu nehmen, ist das Vorlesen modernisierter Märchen. Zeitgenössische Erzählende, die Märchen neu interpretierten, tun das gleiche, was in der Vergangenheit Hans Christian Andersen oder die Grimm-Brüder getan haben: Sie gestalten Stoffe um, um sie neuen Werten anzupassen, so erklärt es der Märchenexperte Christian Handel. Ein Beispiel dafür ist Märchenland für alle. In diesem Buch werden traditionelle ungarische Märchen neu erzählt. Darin finden sich u. a. ein Prinz, der den Prinzen seines Herzens sucht, ein Hase mit drei Ohren und eine Königstochter, die lieber Abenteuer erlebt, anstatt zu heiraten. Jeder Mensch soll sein eigenes authentisches „Ich“ leben können, ohne sich zu verstellen – das ist die Botschaft dieses Buches. Überarbeitete Märchensammlungen wie diese, unterstützen dabei, Eure Kinder für die Vielfalt in unserer Gesellschaft zu sensibilisieren.

Doch auch vor klassischen Märchen braucht Ihr keinesfalls zurückzuschrecken. Wenn Ihr mit Euren Kindern über die Geschichten sprecht, fördert das nicht nur den Dialog und Eure Beziehung zueinander, sondern auch die Entwicklung eines zeitgemäßen Menschen- und Weltbildes. Neben altbekannten Märchen empfehlen wir Euch auch Geschichten aus anderen Kulturen vorzulesen. Märchen aus fremden Ländern können dabei helfen, in Euren Kindern den Sinn für Toleranz und friedliches Zusammenleben zu wecken.

Pädagog*innen und Psycholog*innen empfehlen Märchen bereits für Kinder ab drei Jahren. Sie bieten Euch Anlass, mit Euren Kindern ehest möglich über Themen wie gesellschaftlichen Wandel, Rollenbilder sowie kulturelle Vielfalt zu sprechen. Achtung: Über Märchen zu sprechen, heißt jedoch nicht, sie Euren Kindern zu erklären. Lasst sie ganz unverfälscht wirken, denn sonst verfliegt ihre Magie sofort.

Zu böse, zu brutal?

Auch wenn viele neu interpretierte Märchen von verstaubten Rollenbildern Abstand nehmen: Die Inhalte dieser Geschichten sind damals wie heute für Kinder doch viel zu brutal, oder? Ja, Märchen sind oft sehr dunkel, düster und neben viel Gutem finden wir in ihnen auch ganz schön viel Böses. Das soll jedoch keinesfalls ein Grund sein, von ihnen Abstand zu nehmen. Ganz im Gegenteil! Denn wenn wir Kindern Märchen erzählen, machen wir sie mit der Tatsache vertraut, dass die Welt voller Gefahren und Schwierigkeiten ist. Wir tun dies jedoch in einem geschützten Rahmen und zeigen Kindern, dass es auch in den schrecklichsten Situationen Lösungen gibt. Daher sind sie eine kindgerechte Einführung ins echte Leben, das manchmal einfach böse und brutal sein kann. Sie geben Eltern die Möglichkeit, ihren Sprösslingen schrittweise, auf bildhafte Weise und in einem unterstützenden Umfeld unsere oft sehr komplizierte Wirklichkeit nahezubringen.

Anleitungen fürs Leben

Unter dem märchenhaften Feenstaub liegen jede Menge Hinweise und Tipps fürs Leben verborgen. Denn so finster die Märchenwelten auch erscheinen mögen – Märchen sind wahre Mutmacher. Diese Geschichten geben uns einen Sinn, an den wir glauben können. Sie zeigen Kindern, dass es sich bezahlt macht, durchzuhalten, freundlich zu bleiben und verzeihen zu lernen – wie beispielsweise in den zahlreichen Varianten von Aschenputtel. Märchen geben Antworten darauf, wie die Welt wirklich ist und helfen Kindern dabei, ihren Platz darin zu finden. Sie präsentieren uns die Versuchungen des Lebens, gleichzeitig aber auch eine Fülle an Entscheidungsmöglichkeiten. Das Märchen „Vom Fischer und seiner Frau“ (aus der Sammlung der Gebrüder Grimm) z. B. erzählt von der maßlosen Gier einer Fischerfrau. Sie kennt keine Dankbarkeit, will immer mehr und ist dennoch unzufrieden. Diese Geschichte zeigt Kindern, dass Glück nicht von Macht und Reichtum abhängt.

Märchen machen Kindern deutlich, dass jede Handlung Folgen mit sich bringt. Durch die unterschiedlichen Schicksale der einzelnen Charaktere erkunden Kinder verschiedene Wege zu handeln. Nachdem sie über jede Konsequenz nachgedacht haben, entwickeln sie ihre eigene persönliche Haltung dazu. Durch das Erzählen von Märchen begegnen Kinder ethischen Diskursen, ohne dass diese von uns Erwachsenen ‘gepredigt’ werden. Allein das Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ von Hans Christian Andersen beinhaltet so viele verschiedenen Themen wie Ehrlichkeit und Lügen, Selbstvertrauen und Eitelkeit, Geltungssucht, Mut zur Wahrheit, aber auch Angst, die eigene Meinung zu vertreten. Kinder sind sich nicht bewusst, dass sie während der Vorlesestunde so viel übers „echte“ Leben lernen. Für sie zählt nur der Moment, in dem sie mit einer faszinierenden Geschichte in fremde Welten entführt werden.

Das Tüpfelchen auf dem „Swircle-i“: Die Boxen werden regelmäßig zur Wartung und Pflege in die Zentrale umgeleitet. Bücher werden dort ausgetauscht, Boxen instand gesetzt, gereinigt und dann in neuer Frische in den Tauschkreis zurückgeschickt. Fantastisch!

Einfach fantastisch!

Märchen können eines besonders gut: die Fantasie anregen. Die Vorstellungskraft ist ein grundlegender Baustein der kindlichen Entwicklung. Sie ist für Eure Kinder nicht nur nützlich, sondern absolut notwendig – da ist sich die Wissenschaft einig. Märchen sind eine der besten Möglichkeiten, um Kinder in der Entfaltung ihrer Fantasie zu fördern. Sie fördern die Vorstellungskraft, erweitern den Wortschatz, präsentieren diverse Lebensweisen und vor allem bereiten sie den jungen Zuhörer*innen viel Freude. Expert*innen beschreiben, dass das Schreckliche – wie wir Erwachsene es im Märchen oft empfinden – auf Kinder anders wirkt. Das scheinbar so grausame existiert nur im Kopf und alle Widrigkeiten und Kämpfe im Märchen lösen sich schlussendlich doch immer in einem „Happy End“ auf.

Um unsere einleitende Frage zu beantworten, ob Kinder auch im 21. Jahrhundert noch Märchen brauchen: Ja, unbedingt! Der bekannte Hirnforscher Gerald Hüther bezeichnet Märchen als Superdoping fürs Gehirn: Er vergleicht sie mit einem Zaubermittel, das Kinder aufmerksam zuhören lässt, das gleichzeitig die Fantasie beflügelt und den Wortschatz erweitert, darüber hinaus auch noch ihr Vertrauen stärkt und unsere Kinder mit Mut und Zuversicht in die Zukunft schauen lässt. Sie bereichern übrigens nicht nur die heranwachsenden Generationen. Auch wir Erwachsene sollten viel öfter ins Märchenland reisen und in diese fantastischen Welten entfliehen.

Im Swircle Online-Katalog findet ihr eine große Auswahl an modernisierten wie auch klassischen Märchenbüchern. Mit unseren üblichen Lesegrüßen wünschen wir Euch viele traumhafte Märchenstunden in Österreich oder in Deutschland: #ReadThinkGrow